– Kassenoptimierung durch Markterweiterung der Wirtschaftsprüfung?-

Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern öffnete der Gesetzgeber im Jahre 2012 die Pflichtprüfung für 146 gesetzliche Krankenkassen mit Aufwandskonten in Höhe von rd. 175 Mrd. € als neue Vorbehaltsaufgabe. Das Gesetz soll mehr Sachkunde in das Entlastungsverfahren einbringen. Diese gesetzliche Verlagerung von der Sozialverwaltung in den privaten Sektor ist politisch Teil des (New) Public Management. Die Neuregelung überträgt die Rechnungsprüfung auf eine sehr heterogene Wirtschaftsprüferlandschaft und verschachtelt öffentliches und Handelsrecht. Der Beitrag stellt die gesetzliche Neuregelung sowie deren geräuschlos kurzfristige Entstehung dar und misst die Implementierung dieser wirtschaftsrechtlichen Elemente in die öffentliche Finanzwirtschaft an den vom Gesetzgeber vorgegebenen Zielen:

„Qualität, Unabhängigkeit, einheitliche Standards und Transparenz”.

Der Beitrag enthält folgende Thesen:

  1. Eine fachliche transparente öffentliche Diskussion über die Möglichkeiten der Kassenoptimierung durch die Rechnungsprüfung fand während der Gesetzesberatung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz nicht statt. Entgegen den Anregungen der Krankenkassen erhalten die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nun eine exklusive Markterweiterung auf dem aufgrund seiner demografischen Entwicklung besonders expansiven Gesundheitsmarkt.
  2. Das Ziel einheitlicher Prüfungsstandards wird durch die sehr heterogene Prüferlandschaft („gespaltener Berufsstand“) mit unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern schwerlich erreicht. Das Gesetz macht nicht deutlich, welche Prüfergruppe Adressat der Regelung ist.
  3. Die Unabhängigkeit angestellter Prüfer der großen Prüfungsgesellschaften wird durch deren Einbindung in eine aus über 1000 Prüfern bestehende gewinnorientierte Hierarchie und durch Konflikte von Mandanten mit gegensätzlichen Interessen begrenzt. Möglichen Interessenkonflikten der bisherigen internen Prüfer (Innenrevision) stehen nunmehr anders dimensionierte Konfliktsituationen gegenüber.
  4. Kleinere Gesellschaften dürften in stärkerem Masse dem gesetzlichen Modell des selbständigen Wirtschaftsprüfers entsprechen, um die qualitätssteigernde Sachkunde unter
  5. Die Rechnungsprüfung durch Prüfer im Sinne der WPO verstärkt die Verschachtelung von öffentlichem und Handelsrecht im Rechnungswesen der Krankenkassen und führt zu mehr Unklarheiten und weniger Transparenz; die HGB Vorschriften, ebenso wie die betriebswirtschaftlichen Analyseinstrumente gelten nicht 1:1 sondern nur insoweit, als das SGB die Analogie zulässt; ferner ist neu im Bereich der Öffentlichen Finanzwirtschaft, dass Prüfer eingesetzt werden, die der Aufsicht eines Expertengremiums unterstehen und nicht in eine stringente öffentlich rechtliche Struktur eingebunden sind.
  6. Einheitliche Prüfungsstandards in thematischer Ausrichtung, in Prüfungstiefe und in der Prüfungsmethodik sind noch nicht festgelegt; diese sollte als öffentlich rechtliche Regelung im Benehmen mit dem IDW getroffen werden.
  7. Die Verbesserung der Prüfungsqualität durch Wirtschaftsprüfer ist angesichts der Kritik an der Qualität der Prüfungstestate und der begrenzten Aussagen zu Risiken zu beobachten.
  8. Das gesetzgeberische Ziel zu mehr Transparenz wird nicht durch den Einsatz von Wirtschaftsprüfern, die der Vertraulichkeit verpflichtet sind, nicht erreicht sondern durch Veröffentlichung. Die Publikation gemäß § 305 b SGB V(neu) dürfte mehr als Instrument im Rahmen des Wettbewerbs um Mitglieder eingesetzt werden und ist keine die Jahresergebnisse der Krankenkassen vergleichende Veröffentlichung.
  9. Die nach der WPO zulässige Beratung sollte prüfungsbasiert auf den Gedanken der präventiven Kontrolle ausgerichtet und nicht als umfassendes Beratungsgewerbe ausgestaltet sein. Das angelsächsische System, Prüfungen mit Dumpingpreisen einzuwerben, um lukrative umfassende Beraterverträge zu akquirieren, sollte in die öffentliche Finanzwirtschaft nicht Einzug halten.
  10. Die Auslegung des § 77 Abs. 1a S. 6 SGB IV ergibt, dass nach 5 Jahren eine externe Rotation stattzufinden hat. Die insbesondere von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bejahte interne Rotation würde dazu führen, dass sie in dem auf Wirtschaftsprüfer zugeschnittenen System der WPO nur die für sich günstigen Regelungen anwenden (Beratung ja, externe Rotation nein). Ein Verzicht auf Rotation von Anschlussaufträgen widerspricht dem Rotation(§ 69 SGB IV), den Bestrebungen der EU und entspricht der Stellungnahmen der Aufsicht (APAK).Die Neuregelung birgt durch den Einsatz insbesondere der Big Four das Risiko, die Krankenkassen als eine wesentliche Säule des Sozialstaates für Privatisierungen zu modellieren, die Kassen für gewinnorientierte Beratung zu strukturieren, die Kassen durch Einbindung in das Beratungsgeschäft für den Bestzahlenden zu instrumentalisieren und die Neuregelung widerspricht dem korporativ verfassten Solidarsystem, in das Wettbewerbselement zur Systemstabilisierung und nicht zur Privatisierung eingeführt wurden.
  11. Der Einsatz der Sachkunde der Wirtschaftsprüfer und die rechnungsbasierte Beratung bieten Chancen, dazu beizutragen, das durch die demografische Entwicklung gefährdete System zu stabilisieren. Angesichts der Chancen und Risiken des Gesetzentwurfs muss die weitere Entwicklung in transparenter Weise verfolgt und für den Gesetzgeber evaluiert werden.

Einbeziehung der bestehenden Prüfinstanzen (Innenrevision, Prüfdienste) und durch Erprobung von Joint Audits einzubringen.

Eine erste Besprechung des Aufsatzes erfolgt durch Kersting in:http://www.sv-lex.de/aktuelles/fachpresse/:

-Auszug

Borrmann beschäftigt sich mit dem heterogenen Berufsstand der Wirtschaftsprüfer und legt bei der Prüfung der Kassen das Spannungsfeld zwischen Sozialgesetzbuch und Handelsgesetzbuch dar. Strittig ist, in welchem Umfang betriebswirtschaftliche Rechnungslegungsvorschriften auf die Kassen zu übertragen sind. Da erläuternde Vorschriften noch fehlen, dürften die angestrebten Standards im ersten Jahr nicht erreicht werden. Der Verfasser hat auch Zweifel, ob die vom Bundesrechnungshof geforderte Transparenz durch die Neuregelung erreicht wird. Darüber hinaus könnten Privatisierungstendenzen dem korporativ verfassten Solidarsystem schaden. Bewertung: Sehr wichtiger, fundierter und kritischer Fachaufsatz.

Verweisung auf andere Aufsätze zu dem Thema mit kritischer Analyse der externen Prüfungsschienen:

Heße/Held, Viel hilft viel? – Die Prüfung und Testierung der Jahresrechnungen der gesetzlichen Krankenkassen durch Wirtschaftsprüfer, in: NZS 2012,561 ff.

aus der Sicht der Wirtschaftsprüfer:

Kohlhepp, Prüfung der Jahresrechnung der Träger der gesetzl. Kankenversicherung-ausgewählte Bilanzierungsprobleme, in KrV 2014, 10ff-

Kohlhepp/Seligmann,Systematik der Bildung von Rückstellungenfür Altersversorgung bei Krankenkassen, in KrV 2014, 95ff